Wie alles begann

 

Es war an einem Donnerstagmorgen, ein wunderschöner Spätsommertag Ende September, als wir uns mit unseren beiden Hundelies Mowgli und Candy,  zu einer schon lange geplanten Reise mit unserem Wohnmobil in Richtung Norddeutschland aufmachten.  

Am Spätnachmittag  erreichten wir nach einer gemütlichen Fahrt und beseelt von herrlichen Landschaftsbildern, speziell am Genfer See und dem Greyerzer-Land, den Südschwarzwald. Wir entschieden uns, die Nacht in einem kleinen Ort auf dem Stellplatz in der Nähe eines gutbürgerlichen Restaurants zu verbringen.

So schön die Fahrt und so gross die Freude auf unseren Urlaub auch war, so froh war ich, dass wir eine Etappe geschafft hatten, denn irgendwie fühlte ich mich völlig erschöpft und  gesundheitlich angeschlagen. Es war so ein Gefühl, als ob mir eine Erkältung bevorsteht. Meinem Mann sagte ich erstmal nichts darüber, weil wir uns so lange auf diese Reise gefreut hatten und ich seine Freude nicht trüben wollte. Bestimmt würde ich mich bald wieder besser fühlen, so hoffte ich zumindest.

Als wir abends ein kleines Stück mit unseren Hundelies spazieren gingen, spürte ich, dass ich völlig kraftlos war. Ich hatte das Gefühl, ich sei einem Kreislaufkollaps ganz nahe. Um meinen Mann nicht in Sorgen um mich zu bringen, sagte ich noch immer nicht, dass es mir irgendwie nicht gut ging-  Mein tatsächliches Befinden überspielte ich mit Frohsinn. Mein Mann merkte trotzdem, dass mit mir irgendetwas nicht stimmte. Ich musste auf dem kurzen Weg den wir gingen, dauernd innehalten um nach Luft zu schnappen.  Mein Mann fragte mich mehrmals, was denn nur mit mir los sei, ich antwortete alles ist o.k., es geht schon wieder.

Am nächsten Morgen fuhren wir weiter gen Norden in meine alte Heimat. Als wir am späten Nachmittag unser Ziel erreicht hatten, richteten wir uns  auf unserem uns vertrauten Stellplatz ein und verbrachten einen gemütlichen Abend in unserem „zweitem Wohnzimmer“, im Womo.

Die Nacht wurde für mich sehr unangenehm, denn das Gefühl eine heftige Erkältung zu bekommen hatte sich noch verstärkt und liess mich kaum schlafen. Mir taten alle Glieder weh, ich fror obwohl gut geheizt war und ich fühlte mich am Morgen richtig krank, war fürchterlich schlapp, hatte aber weder Husten noch Schnupfen. Nur im Mund hatte ich brennende Schmerzen.

Noch immer verschwieg ich meinem Mann, dass es mir sehr schlecht ging, denn ich glaubte, dass meine Gesundheit nur vorrübergehend „angekratzt“ sei und sicherlich bald alles wieder gut sein würde.

Doch im Laufe des Tages verschlimmerte sich mein Befinden und schlussendlich konnte ich dieses meinem Mann gegenüber nicht mehr länger verschweigen.

Wir besuchten an jenem Morgen das Grab meines verstorbenen Mannes, um dieses herbst- und winterfest zu machen. Es war mein sehnlichster Wunsch und ein Ziel unserer Reise.

Am Nachmittag erfreuten wir meine Schwiegermutter mit Kaffee und Kuchen und unserem Besuch, welches für sie immer eine riesige Freude ist. (Mutter meines verstorbenen Mannes). Nach dem Kaffeetrinken mit ihr, hatte ich nur noch das Bedürfnis zurück zum Stellplatz zu kehren, damit ich mich im Womo ein wenig hinlegen und ausruhen konnte. Es ging mir wirklich sehr schlecht.

Eine weitere unruhige Nacht aufgrund meines schlechten Befindens lag am nächsten Morgen hinter mir. Die Schmerzen in meinem Mund hatten sich zu Höllenqualen entwickelt. Etwas zu essen war gar nicht mehr möglich und das Trinken ging nur noch indem ich kaum Schluckbewegungen machte, sondern das kühle Getränk langsam in den Mund bzw. Rachen, laufen liess. Uns blieb nichts anderes übrig als eine Apotheke aufzusuchen und Medikamente zu holen.

Die Apothekerin schaute mir in den Mund und sagte, dass ich lauter Aphten habe, diese sehr wahrscheinlich von einem Virus herrührten. Sie gab mir Medikamente, die Linderung verschaffen sollten und empfahl mir einen Arzt aufzusuchen.

An diesem Tag verzichteten wir auf unsere Weiterreise gen Norden und hielten uns nur noch am Stellplatz auf, damit ich Ruhe und Erholung finden konnte.

Auch am nächsten Tag hatte sich zunächst an meinem gesundheitlichen Zustand nichts geändert. Beim Erwachen am Morgen fühlte mich zuerst noch sehr viel kranker. So beschlossen wir unseren Urlaub abzubrechen und zurück in die Schweiz zu fahren, damit ich Zuhause sofort zum Arzt gehen konnte.

Ja, inzwischen war es Samstag geworden und auch in der Schweiz ist es am Wochenende immer so eine Sache mit dem Arzt. Wie auch in Deutschland gibt es nur den Arztnotdienst, doch da  wollte ich nicht unbedingt hin. Nein, ich wollte zu unserem Hausarzt. Es ging mir nach den Schmerztabletten und der intensiven Mundbehandlung im Laufe des Tages glücklicher Weise ein bisschen besser. So sagte ich zu meinem Mann, dass ich noch meine Freundin in der Eifel besuchen möchte, wo wir doch schon mal in Deutschland sind und wieder Richtung Süden fahren. Ich sehe meine Freundin sehr selten und unser Wiedersehen ist immer eine grosse Freude.

Da wir in der Schweiz in punkto Arztbesuch am Wochenende eh nichts ausrichten konnten, gab es nun keine grosse Eile und deshalb auch einen kurzen Abstecher in die Eifel zu meiner „kleinen Schwester“.  Wir verbrachten wirklich einen schönen Abend mit meiner Freundin und ihrer Mutter. Sogar unser gemeinsames Essen im Restaurant konnte ich geniessen. Nach einem guten Frühstück mit meiner Freundin und ihrer Mutter, ging es am Sonntagmorgen weiter südwärts.

Unser Weg führte uns ohne Umwege in Richtung Elsass. Das Elsass lag auf unserem Rückweg. Dort lebt die Schwiegermutter meines Mannes, der wir  nun auch noch einen Besuch abstatten wollten. Ich verstehe mich wunderbar mit ihr. In den Jahren seit wir uns kennen hat sich nahezu ein Mutter-Tochterverhältnis zwischen uns aufgebaut. Sie strahlt immer eine herzerwärmende Freude aus, wenn wir sie besuchen. Es war die letzte Etappe unseres „Urlaubs“, der ja laut unserer vorherigen Planung ganz anders verlaufen und uns eigentlich in eine ganz andere Richtung bringen sollte.

Ich war unglaublich traurig über diesen Urlaubsabbruch. Wie sehr hatten wir uns doch auf diesen Urlaub gefreut. Ich hätte meinem Mann so gerne den wunderschönen Norden von Deutschland gezeigt…

Wir beschlossen aber, sobald ich genesen und diesen Virus wieder los war, erneut und so schnell wie möglich in den Urlaub nach Norddeutschland zu fahren. Und wer weiss, so sagten wir uns, vielleicht gibt es einen goldenen Oktober und unsere Reise wird dann umso schöner. Wir hatten doch alle Zeit der Welt und was sollte uns daran hindern so rasch wie möglich noch einmal auf Reisen zu gehen?  Und überhaupt, nichts ist schöner als die Vorfreude auf etwas…

Am Montagmorgen ging es dann wirklich zurück nach Hause in die Schweiz. Mein Gesundheitszustand hatte sich über Nacht wieder arg verschlechtert und ich war richtig froh, als wir am späten Nachmittag endlich zuhause ankamen. Ich begab mich völlig erschöpft zum Sofa und legte mich hin. Für einen Arztbesuch war es allerdings an jenem Tag schon zu spät.

Mein Mann räumte das Wohnmobil aus und reinigte es, damit es für das nächste Mal startklar war. Eigentlich teilen wir uns diese Arbeit immer, doch dieses Mal konnte ich ihm nicht mal ein bisschen zur Hand gehen, ich war unendlich schlapp, vollkommen kraftlos.

Am nächsten Morgen konsultierte ich sofort unseren Hausarzt. Mein Mann begleitete mich, denn ich wäre nicht in der Lage gewesen Auto zu fahren, so elendig fühlte ich mich. Der Arzt kontrollierte meinen Blutdruck, horchte meine Lunge ab und schaute mir in den Mund. Seine Diagnose lautete, wie ich bereits schon einmal hörte, es sei ein Virus, dagegen könne man nichts machen. Gegen einen Virus gibt es auch kein Antibiotikum, das hilft nur bei bakteriellen Entzündungen, so ergänzte er sein Resümee. Ich hatte ja bereits schmerzstillende Salbe für die Aphten im Mund, in der Apotheke in Deutschland bekommen und die sollte ich weiterhin nehmen. Dazu verordnete er mir eine spezielle Zahncreme und Mundwasser, mehr könne er leider nicht tun.

Ach ja, ich solle mich schonen, mein Körper brauche jetzt sehr viel Ruhe, gab er mir noch mit auf den Weg.

So weilte ich zwei Wochen zu Hause und hoffte von Tag zu Tag auf Besserung. Doch es tat sich nichts, im Gegenteil, ich verlor immer mehr Kraft. Ich lebte nur noch zwischen Bett und Sofa. Mein Mann hatte inzwischen die komplette Haushaltsführung übernommen. Um ihm wenigstens ein bisschen zu unterstützen, versuchte ich mit dem Staubsauger die Teppiche zu reinigen. Doch selbst dafür hatte ich keine Kraft mehr. Ich wollte aber auch etwas im Haushalt machen, ich war dieses "Rumliegen" so satt.  Einmal setzte ich mich auf den Bürostuhl, er hatte Rollen und ich konnte mich sitzend mit dem Staubsauger durchs Wohnzimmer bewegen. Es war das letzte Mal, dass ich etwas in der Wohnung gemacht habe.

Zwei Wochen kämpfte ich nun bereits mit dem „Virus“ und nichts besserte sich. Im Gegenteil, es fiel mir immer schwerer mein Bett zu verlassen und ins Wohnzimmer zum Sofa zu kommen. Ich hätte auch im Bett bleiben können, doch ich wollte bei meinem Mann und bei unseren Hundelies sein.

Ich rief erneut bei unserem Hausarzt an und schilderte mein Befinden und das anstatt einer Besserung sogar eine Verschlechterung zu spüren sei. Ich wurde in die Praxis bestellt und mein Mann begleitete mich wieder. Auf dem kurzen Weg zur Praxis musste ich mich andauernd, nach nur wenigen Schritten, irgendwo hinsetzen. Mein Mann war völlig erschrocken und fragte, was denn nur mit mir los sei, ob ich nicht mehr in der Lage sei die wenigen Meter zu laufen. Ich begann zu weinen weil ich ja schon längst Angst hatte und spürte, dass irgendwas mit mir nicht stimmen konnte. Das sagte ich auch zu meinem Mann und auch, dass ich wirklich keine Kraft mehr habe.

Dem Arzt erzählte ich haargenau wie ich mich fühlte und wie es mir erging. Er schaute mir in den Mund  und blieb bei seiner Diagnose, dass es der Virus sei und ich einfach noch mehr Geduld brauche.  So ein Virus sei eine schlimme Sache und belaste den gesamten Körper,  es könne schon mal ein paar Wochen dauern bis er wieder weg sei.

So ging ich wieder nach Hause, blieb mit meiner Angst und einem komischen Gefühl allein.

Ich glaubte dem Arzt , aber mit komischem Gefühl und dachte, dass ich eben noch mehr ruhen muss, obwohl ich ja nichts anderes mehr tat, weil ich eh vor lauter Schwäche nichts machen konnte, mir fehlte zu allem die Kraft.

Und ich harrte nochmals zwei weitere Wochen aus. Nichts wurde besser! Im Gegenteil, ich hatte nicht einmal mehr die nötige Kraft mir mein Toast zum Frühstück zu zubereiten. Am letzten Samstag, den ich zu Hause verbrachte, lag ich auf dem Sofa und hatte ein ganz seltsames, angsterfülltes Gefühl. Ich sagte zu meinem Mann, er solle die Ambulanz rufen, ich würde sterben. Mein Mann sagte, ich solle mich in nichts reinsteigern, am Montag gehen wir nochmal zum Arzt, irgendetwas muss er jetzt machen.

Am Sonntag hatte ich dieses eigenartige Gefühl noch einmal und sagte wieder, dass ich das Gefühl habe, ich müsse sterben. Mein Mann meinte, dass käme sicherlich daher, weil ich mich so schlecht fühle. Ich bat ihn immer bei mir zu bleiben, denn ich hatte plötzlich Angst alleine zu sein wenn ich sterbe.

Am Montagmorgen rief ich in aller Frühe beim Arzt an. Er verlangte tatsächlich, dass ich noch mal in die Praxis komme, und dass obwohl ich ihm meinen Gesundheitszustand genauestens geschildert hatte. Als ich sehr ärgerlich sagte, das sei ausgeschlossen, dass es absolut nicht mehr möglich für mich ist in die Praxis zu kommen, meinte er, dass er dann eben gegen halb elf Uhr vorbei kommt und mir mal Blut abnimmt.

So geschah es auch.

Keine zwei Stunden später rief der Arzt ziemlich aufgeregt bei uns zuhause an. Ich nahm das Gespräch entgegen und er verlangte meinen Mann zu sprechen. Ich sagte, dass ich meinen Mann momentan nicht erreichen kann und fragte was denn so dringend sei.

Dann sagte er ich müsse sofort ins Spital, die Ambulanz sei auf dem Weg um mich abzuholen, wir dürften keine Zeit mehr verlieren. Ich schrie den Arzt voller Panik an und fragte, was los sei, er meinte, ich hätte kaum noch Blut.

Die Ambulanz brachte mich in die Notaufnahme des Spitals. Sofort waren Ärzte und Schwestern um mich herum. Mein besorgter Mann wich nicht von meiner Seite. Er tat mir so unsagbar leid. Wie gerne hätte ich ihm das alles erspart, doch all das zu verhindern lag nicht in meiner Macht. Unser gemeinsames Leben hatte ich mir so ganz sicher nicht vorgestellt. Hinter uns lag doch schon so viel Kummer, Schmerz und Leid. Beide haben wir unsere Partner durch Krebs verloren. Wir kämpften vor wenigen Jahren um das Leben vom Sohnemann, er hatte Lymphdrüsenkrebs, den er GOTT SEI DANK!!! gut überstanden hat. Aber es war eine sehr schwere Zeit für uns, denn die Erinnerungen an die Krebszeit unserer Partner wurden mit geballter Ladung wieder lebendig.Wir durchlebten damals alles noch einmal.

Im Spital, in der Notfallstation wurden mir zunächst viele Ampullen Blut abgenommen und bald darauf bekam ich Bluttransfusionen. Die  Nacht über blieb ich auf der Notfallstation. Am nächsten Morgen kam der Chefhämatologe zu uns, mein Mann war bereits bei mir. Der Hämatologe erklärte uns, dass ich sofort mit der Ambulanz nach Lausanne in eine Spezialklinik gebracht würde. Ich fragte warum? Der Arzt antwortete, dass bei den Blutuntersuchungen leider festgestellt wurde, dass ich eine Leukämie habe.

Für uns brach eine Welt zusammen.

 

 

 

Kapitel 3 folgt demnächst

 

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